Aug 28, 2013

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FOCUS Magazin | Nr. 33 (2013)

Politik

Aus bin Ladens Schatten

Montag, 12.08.2013, 00:00 · von

dpa Alarmstufe Rot: Aiman al-Zawahiri (hier 2004 bei einem Auftritt im arabischen Sender al-Dschasira) rief sein Terrornetzwerk zu Attacken auf. Die USA schlossen daraufhin zahlreiche Botschaften.

Wie mächtig ist der neue Fürst des Terrors? Der amerikanische Experte Peter Bergen analysiert für FOCUS die Karriere des Al-Qaida-Chefs Aiman al-Zawahiri

Die Botschaft des Al-Qaida-Chefs Aiman al-Zawahiri an den Kommandeur seiner Unterorganisation im Jemen war klar und einfach: „Tut etwas!“ Der amerikanische Geheimdienst fing die Nachricht ab. Es folgte eine beispiellose Schließung von rund zwei Dutzend US-Botschaften und -Konsulaten im Nahen Osten, Südasien und Afrika. Im Jemen schlossen auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien ihre Vertretungen. Osama bin Laden wurde vor zwei Jahren bei einer Operation der US Navy Seals im pakistanischen Abbottabad getötet. Bis dahin stand Zawahiri im Schatten seines charismatischen Vorgängers. Nun tritt der 62-Jährige als weltweit herrschender Terror-Boss ins Rampenlicht.

Humorloser religiöser Fanatiker

Zawahiri ist ein humorloser religiöser Fanatiker, auf dessen Stirn eine gut sichtbare dunkle Beule prangt. In Arabien ist sie als Zabiba (Rosine) bekannt – das Ergebnis von vielen Jahrzehnten Beten und Verneigen mit wiederholten Berührungen des Bodens. Viele Analysten – einschließlich meiner selbst – haben nicht erwartet, dass er sich als ein so fähiger Nachfolger bin Ladens erweisen würde. Es fiel ihm leicht, sich die Gefolgschaft der alten Al-Qaida-Verbündeten im Irak, auf der Arabischen Halbinsel und in Nordafrika zu sichern. Im vergangenen Jahr erweiterte er sein Netzwerk um zwei weitere Verbündete: die militante Gruppe al-Schabaad aus Somalia und die Al-Nusra-Front (Siegesfront) in Syrien. Auf seine neue Rolle hat sich Zawahiri sein Leben lang vorbereitet. Seine erste Dschihadisten-Zelle gründete er bereits mit 15 Jahren in seiner Heimatstadt Kairo. Wie viele Revolutionäre stammt er aus privilegierten Verhältnissen: aus einer bekannten ägyptischen Familie von Botschaftern, Rechtsanwälten und Geistlichen. Als Teenager glaubte er, dass die von Anwar al-Sadat geführte Regierung Ägyptens den Islam aufgegeben habe und deshalb gestürzt werden müsse. Im Jahr 1979 unterzeichnete al-Sadat den Friedensvertrag mit Israel – und damit im Prinzip sein eigenes Todesurteil. Im Jahr 1981 wurde Zawahiri, inzwischen als Chirurg ausgebildet, zusammen mit Hunderten anderen verhaftet, weil er an dem Attentat auf al-Sadat beteiligt gewesen sein soll. Ägyptische Sicherheitskräfte folterten ihn – eine Erfahrung, die ihn weiter radikalisierte. Nachdem er Mitte der 1980er-Jahre freigelassen worden war, machte sich Zawahiri auf ins pakistanische Peschawar, wo damals Tausende von militanten Arabern zusammenkamen, um den afghanischen Dschihad gegen die Sowjetunion zu unterstützen. Hier traf er 1986 zum ersten Mal auf bin Laden, den damals schüchternen, wortkargen Sohn eines saudischen Milliardärs. Für bin Laden war der etwas ältere, nachdenkliche und politisch erfahrene Zawahiri eine faszinierende Persönlichkeit. Die beiden gingen eine Verbindung ein, die teuflische Konsequenzen haben sollte.

Zawahiri gewann bin Laden für seine Vorstellung des Dschihad

Zawahiri gewann bin Laden allmählich für seine Vorstellung des Dschihad. Er brachte ihn dazu, sich nicht mehr nur auf Afghanistan zu konzentrieren, sondern einen Machtwechsel in der arabischen Welt anzustreben. Bin Laden überzeugte seinerseits Zawahiri, einen „entfernten Feind“ zu bekämpfen. „Osama hat Zawahiri mit seiner Idee beeinflusst, die Amerikaner als den wahren Feind zu sehen“, erzählt Noman Benotman, ein libyscher Kämpfer, der beiden Männern nahestand.

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Aus bin Ladens Schatten: Seite 2

dpa Nach Osama bin Ladens Tod (das Bild stammt aus dem Jahr 2000) übernahm Aiman al-Zawahiri das Terrornetzwerk Al-Qaida

Als Zawahiri im Jahr 1997 – nach sechs Monaten Haft in Russland – zum ersten Mal in das von den Taliban kontrollierte Afghanistan kam, war bin Laden auf dem Weg zu weltweiter Berühmtheit als Emir des Dschihad. Zawahiri dagegen war nur der mittellose Anführer einer kleinen ägyptischen Terroristengruppe. Bin Laden wahrte Distanz. Erst im Sommer 2001 verriet er dem Ägypter Details über die bevorstehenden Angriffe auf New York und Washington. Damals hatte bin Laden nahezu die totale Kontrolle über al-Qaida. Die Mitglieder mussten einen religiösen Eid auf ihn persönlich schwören, um ihn ihrer blinden Loyalität zu versichern. Wie bin Ladens Sohn Omar berichtet, gewöhnten sich die al-Qaida-Männer an, um Erlaubnis zu bitten, wenn sie mit dem Anführer sprechen wollten. „Werter Prinz, darf ich sprechen?“, sei die übliche Frage gewesen. Auch Zawahiri habe sie gestellt. Als neuer Chef von al-Qaida zeigt Zawahiri, dass er sich nicht mehr an die früheren Entscheidungen bin Ladens gebunden fühlt. Im Jahr 2010 befahl bin Laden der somalischen Militantengruppe al-Schabaad, ihre Verbindung mit al-Qaida geheim zu halten. Anfang 2012 gab Zawahiri selbst das Bündnis der beiden Gruppierungen bekannt. Nach 9/11 schrieb Zawahiri in seiner Autobiografie „Ritter unter dem Banner des Propheten“, das wichtigste strategische Ziel von al-Qaida bestehe darin, die Kontrolle über einen Staat oder Teil eines Staates irgendwo in der islamischen Welt zu übernehmen. „Wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, werden unsere Aktionen nichts bedeuten“, erklärte er. Sein Erfolg als Al-Qaida-Führer wird von seinen Mitkämpfern daran gemessen werden, ob es ihm gelingt, aus den chaotischen Zuständen in Ländern wie Ägypten, dem Jemen, Syrien, Irak und Libyen nach dem Arabischen Frühling Kapital zu schlagen, sichere Häfen für al-Qaida und Verbündete zu etablieren und von dort aus wirksame Schläge gegen westliche Ziele auszuführen.

Zawahiri versteckt sich in Pakistan

In Pakistan, wo sich Zawahiri weiterhin versteckt, und auch im Jemen haben CIA-Drohnenangriffe in den vergangenen Jahren Dutzende von Al-Qaida-Führern getötet. Einen Herrschaftsbereich in einem dieser Länder aufzubauen, erscheint fast unmöglich. Bessere Chancen dürfte es für den syrischen Partner al-Nusra geben. Mit einer Basis im Herzen der arabischen Welt und in direkter Nachbarschaft zu Israel wäre die Gruppe wohl in der Lage, den Westen anzugreifen. Die Al-Nusra-Front hat die Unterstützung von Teilen der sunnitischen Bevölkerung Syriens gewonnen. Sie ist die effektivste Kraft im Kampf gegen das Assad-Regime, und sie verteilt Lebensmittel, betreibt Krankenhäuser und organisiert Scharia-Gerichte. Noch konzentriert sich Jabhat al-Nusra allerdings auf den Sturz Assads, ein Projekt, das noch Jahre in Anspruch nehmen könnte.

Al-Qaida wurde vor 25 Jahren, im August 1988, an einem langen Wochenende in der glühenden Sommerhitze Pakistans in der Stadt Peschawar gegründet. Laut den Aufzeichnungen über das Treffen diskutierte bin Laden mit etwa einem Dutzend Männer, wie sich am besten eine Organisation schaffen ließe, die den „Heiligen Krieg“ in andere Länder trägt. Zawahiri war nicht dabei, und in den frühen Jahren der neuen Organisation spielte er in ihr keine zentrale Rolle. Heute ist er ihr Gesamtchef. Er steht vor der Aufgabe, ein Terrornetzwerk zu beleben, dessen letzte große Operation im Westen die Selbstmordattentate in der Londoner U-Bahn am 7. Juli 2005 waren. Um nach seinen eigenen Maßstäben erfolgreich zu sein, wird er sich mehr einfallen lassen müssen, als nur den Chef des Al-Qaida-Partners im Jemen aufzufordern, „etwas zu tun“.

CNN - Tim Hetherington Peter Bergen

Peter Bergen, 50, Bin-Laden-Biograf

Der britisch-amerikanische Journalist zählt zu den führenden Terrorismus-Experten in den USA und verfasste vier Bestseller über Osama bin Laden und die Jagd der Amerikaner auf den ehemaligen Al-Qaida-Anführer. Er leitet das National Security Studies Program, einen Think Tank in Washington, D. C. Bergen führte 1997 in Kabul ein TV-Interview mit Osama bin Laden.

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